Ich hörte die Frage seit ich deutsche Sätze verstehen konnte. Sie war an meinen Vater gerichtet. Er war und ist der beste Rechtsanwalt für Strafrecht den ich kenne. Freunde, Bekannte und Verwandte stellten die Frage.
“Wie kannst Du so jemanden verteidigen?“
Gemeint immer nur:
- Mörder
- Kinderschänder
- Vergewaltiger
- Tierquäler
Nie gemeint:
- Männer, die ihre Frauen schlagen
- besoffene Autofahrer, die einen Familienvater getötet haben
- Betrüger
- Diebe
- Brandstifter
- alle anderen
- man selber
Gerne kombiniert mit der vermeintlichen Killerfrage:
“Erst recht, wenn Du weißt, dass er es war?“
Ich persönlich lebe bei der Strafverteidigung meinen sportlichen Ehrgeiz aus. Verteidigen ist leichter als angreifen. Spielzüge des Gegners kann man vorhersehen, Menschen sind berechenbar.
Die Antwort ist aber für jeden Strafverteidiger anders, so auch diese:
Oft und zu Recht wird die die Antwort mit dem Rechtsstaat begründet. Denn wer sich nicht verteidigen darf, der muss eigentlich von sich aus gestehen. Und wer nicht gesteht, obwohl er es war und eigentlich gestehen müsste, der darf ja zu seinem Wohle zum Geständnis gezwungen werden. Mit der Drohung, dass ihm sonst eine höhere Strafe droht. Oder ein längeres Verfahren. Oder die Daumenschraube. Suchen Sie es sich aus. Die Strafverfolgungsbehörden waren historisch gesehen sehr erfindungsreich.
Es hat schon seinen Grund, weshalb ein Folterverbot eingeführt wurde, und der ist nicht der, dass Unschuldige gefoltert wurden. Sondern weil Schuldige gefoltert wurden.
Es besteht leider folgender immer wiederkehrender historischer Zusammenhang: Immer wenn Schuldige nicht leugnen dürfen und keinen Verteidiger haben dürfen, dann ist es ein totalitäres, menschenrechtswidriges Regime, in dem es zur Folterungen kommt. Sie glauben es nicht? Ok, Sie haben Recht. Syrien, Weißrussland, Russland, China sind tolle Staaten. Und da niemand ein Kinderschänder ist, leben alle gerne dort.
Dr. Lorenz Kirschner, Rechtsanwalt für Strafrecht