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Freiheitsbeschränkungen wegen Coronavirus

Hinweis: Ich habe aufgrund der sich ständig ändernden Rechtslage und meiner beschränkten Freizeit aufgehört, diesen Artikel ständig zu aktualisieren (Update v. 1.11.2020: Ist das Garagenpartyverbot verfassungswidrig?). Er kann daher nur noch als Information über die Grundlagen des österreichischen Systems verschuldensunabhängigen Freiheitsentzugs dienen.

Quarantäne, Unterbringung, Isolierung, Ausgangssperre, Anhaltung wegen Coronavirus / Covid-19 / SARS-CoV-2 = verschuldensunabhängiger Freiheitsentzug

Man darf das Kind beim Namen nennen: Wir reden über unfreiwilligen Freiheitsentzug für Menschen, die keine Straftat begangen haben. Zu Recht waren die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sehr eng. Die neuen etwas großzügigeren Gesetze sind aber der Dringlichkeit der Lage (Exponentielle Ausbreitung!) geschuldet und daher

Ich hoffe, hier ein paar hilfreiche Informationen für Betroffene der verschuldensunabhängigen Freiheitsbeschränkungen zur Verfügung zu stellen. Die einzige andere Quelle, die derzeit (16.3.2020) ebenfalls auf unsere Freiheitsrechte achtet, ist das Epicenter und Coview-19.

Ausgangspunkt ist das Tuberkulosegesetz

Ich war vor meinem Wechsel in die Anwaltschaft zuletzt Strafrichter. Doch zuvor als Unterbringungsrichter hatte ich es in Steyr, Wels und St. Johann im Pongau ausschließlich mit (angeblich) psychisch Kranken zu tun, die (angeblich) erheblich und ernstlich selbst- oder fremdgefährlich waren und im Sinne des Volksmundes “einzuweisen” waren. Der Richter, der die Sonderzuständigkeit am Bezirksgericht nach dem Unterbringungsgesetz ausübt, hat in der gerichtsinternen Geschäftsverteilung in der Regel auch die Zuständigkeit nach dem Tuberkulosegesetz. Zu tun hat man es aber (bisher) de facto nur mit psychisch Kranken.

Das TuberkuloseG statuiert eine Behandlungspflicht für den Erkrankten, eine Anzeige-/Meldepflicht für erkannte Erkrankungen und erlaubt der Behörde, Kranke und Krankheitsverdächtige zu überwachen.

§ 9 Abs 1 Z 8 TuberkuloseG sieht eine Belehrung des Kranken vor, über

  • die mit der Erkrankung verbundenen Gefahren für sich und seine Umgebung und
  • die genauen Anweisungen für ein im Hinblick auf das Krankheitsstadium adäquates Verhalten, um die Gefährdung anderer Personen verlässlich auszuschließen.

Dieser letzte Satz ist entscheidend. Denn erst das Zuwiderhandeln eines Tuberkulosekranken führt zu Zwangsfolgen.

Warum schreibe ich von Tuberkulose? Das war wohl die erste Krankheit, für die man Maßnahmen gesetzlich regelte, um einen richterlichen Schutz gegenüber ungerechtfertigten behördlichen Anhaltungen sicherzustellen. Das EpidemieG kann sich daher darauf beschränken, nur konkrete Krankheiten anzuführen, bei deren Auftreten das Gericht ebenfalls für die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen zuständig ist. Die auf dem EpidemieG basierende Verordnung zur Absonderung Kranker bestimmt, dass die Absonderung oder “Verkehrsbeschränkung” (nichts anderes als “Freiheitsbeschränkung”) der Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen auf die Dauer der Ansteckungsgefahr so zu erfolgen hat, dass eine Weiterverbreitung der Krankheit hintangehalten wird. Bei einer Infektion mit 2019-nCoV (“2019 neuartiges Coronavirus„) sind die Kranken und Krankheitsverdächtigen abzusondern oder nach den Umständen des Falles lediglich bestimmten Verkehrsbeschränkungen zu unterwerfen. Diese Verordung ist wegen 2019-nCoV (“2019 neuartiges Coronavirus„) aktualisiert worden. Die konkreten Maßnahmen sind auf der Homepage des Gesundheitsministeriums veröffentlicht.

Geschäftsschließungs-Verordnung

Mit der Verordnung vom 16.3.020 wurde auf Basis des neuen Covid-19-Maßnahmengesetzes weitgehend der Geschäftsbetrieb in Österreich eingestellt.

Die Verordnung lautet wie folgt:

§ 1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.

§ 2. § 1 gilt nicht für folgende Bereiche
1. öffentliche Apotheken
2. Lebensmittelhandel (einschließlich Verkaufsstellen von Lebensmittelproduzenten) und bäuerlichen Direktvermarktern3. Drogerien und Drogeriemärkte
4. Verkauf von Medizinprodukten und Sanitärartikeln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln 5. Gesundheits- und Pflegedienstleistungen
6. Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen die von den Ländern im Rahmen der Behindertenhilfe–, Sozialhilfe–, Teilhabe– bzw. Chancengleichheitsgesetze erbracht werden
7. veterinärmedizinische Dienstleistungen
8. Verkauf von Tierfutter
9. Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten
10. Notfall-Dienstleistungen
11. Agrarhandel einschließlich Schlachttierversteigerungen sowie der Gartenbaubetrieb und der Landesproduktenhandel mit Saatgut, Futter und Düngemittel
12. Tankstellen
13. Banken
14. Post einschließlich Postpartner, soweit deren Unternehmen unter die Ausnahmen des § 2 fällt, und Telekommunikation
15. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege [zB Rechtsanwälte]
16. Lieferdienste
17. Öffentlicher Verkehr
18. Tabakfachgeschäfte und Zeitungskioske
19. Hygiene und Reinigungsdienstleistungen
20. Abfallentsorgungsbetriebe
21. KFZ-Werkstätten.
§ 3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.
(2) Abs. 1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:
1. Kranken-und Kuranstalten;
2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;
3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;
4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.
(3) Abs. 1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.
(4) Abs. 1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw. öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.
(5) Abs. 1 gilt nicht für Lieferservice.
§ 4. (1) §§ 1und 2 dieser Verordnung treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft.
(2) § 3 tritt mit 17. März 2020 in Kraft.
(3) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft.

Ausgangsbeschränkungs-Verordnung

§ 1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.
§ 2. Ausgenommen vom Verbot gemäß § 1 sind Betretungen,
1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;
2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;
3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;
4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;
5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.
§ 3. Die Benützung von Massenbeförderungsmitteln ist nur für Betretungen gemäß § 2 Z 1 bis 4 zulässig, wobei bei der Benützung ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen einzuhalten ist.
§ 4. Im Fall der Kontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind die Gründe, warum eine Betretung gemäß § 2 zulässig ist, glaubhaft zu machen.
§ 5. Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft.

Welche Strafen drohen bei Verstoß gegen diese Verordnungen?

Seit heute (16.3.2020) drohen Geldstrafen von bis zu EUR 30.000,00 für Gewerbetreibende (zB ein Gastronom, der bewirtet; wer gegen die Beschränkung der Öffnungszeit oder Personananzahl verstößt) und von bis zu EUR 3.600,00 für Privatpersonen, die sich nicht an die Verordnung halten (zB wer ohne Rechtfertigung einen Ort unter Quarantäne betritt oder verlässt; wer den Mindestabstand von 1 Meter in der Öffentlichkeit nicht einhält).

Das Bezirksgericht kann Anhaltungen nach dem EpidemieG nur nachträglich überprüfen

Nach § 14 TuberkuloseG in Verbindung mit kann die Bezirksverwaltungsbehörde beim Bezirksgericht (in dessen Sprengel die Krankenanstalt liegt, in der die Anhaltung durchgeführt werden soll) die Feststellung der Zulässigkeit der Anhaltung von Personen beantragen, die

  • an Tuberkulose (oder am Coronavirus) erkrankt oder krankheitsverdächtig sind und
  • trotz einer Belehrung gegen die ihnen obliegenden Pflichten verstoßen, falls
  • dadurch eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen entsteht,
  • die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

Bei einer Epidemie kann aber nicht die rechtskräftige gerichtliche Beschlussfassung über die Anhaltung jedes einzelnen von vielleicht zehntausend Betroffenen abgewartet werden. Das wären lange Verfahren ohne Sinn, es gäbe auch in keinem Land der Welt genügend Richter. § 7 Abs 1a EpidemieG sieht daher einen umgekehrten Mechanismus vor: Zuerst darf die Behörde die Anhaltungen auch für zehntausende Menschen mit sofortiger Wirkung verfügen und der einzelne Betroffene muss selbst zu Gericht und kann die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung im Sinne des im Tuberkulosegesetzes vorgesehenen Verfahrens beantragen (natürlich auch schriftlich).

Ich gehe Stand heute (13.3.2020) davon aus, dass dies in den nächsten Wochen in einzelnen Fällen schlagend werden wird. Ob es sich dann um Beratungsresistenz eines Bürgers handelt oder ungerechtfertigte Anhaltung durch die Behörde, hat dann eben das örtlich zuständige Bezirksgericht zu entscheiden. Für psychisch Kranke, Tuberkulosekranke und Coronakranke gilt dasselbe:

Das Gericht bestimmt nicht, DASS man in “Quarantäne” muss oder dass man “eingesperrt” wird. Sondern das Gericht entscheidet “nur”, ob die aus ärztlicher Sicht nötige Anhaltung in einer Krankenanstalt oder einem anderen Ort zulässig bleibt. Das heißt, die Freiheitsbeschränkung endet meist nicht, weil die vom Gericht bestimmte Zulässigkeitsdauer endet (es wird ohnehin fast immer der von den Ärzten vorgegebene Zeitraum bewilligt und gern auch nochmals verlängert), sondern de facto weil die Ärzte die Erkrankung als auskuriert ansehen. Anders als bei psychischen Erkrankungen kommt es aber bei ansteckenden Erkrankungen darauf an, ob vom Patienten noch eine Ansteckungsgefahr ausgeht.

Ganz ein anderes Verfahren wäre einzuleiten, wenn überhaupt die Gesetzmäßigkeit der Verordnung oder die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bekämpft werden soll.

Was bedeutet “ernstliche und erhebliche Gefährdung” anderer Personen?

Es gibt keine Rechtsprechung zur Frage, was eine ernste und erhebliche Gefährdung im Sinne des Epidemiegesetzes ist.

Es gibt jedoch Rechtsprechung zur Frage, was eine ernste und erhebliche Gefährdung im Sinne des Unterbringungsgesetzes (psychisch Kranke) ist. Ernstlich bedeutet, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung einer Gefahr bestehen muss (OGH). Erheblich bedeutet, dass die Gefahr nicht nur in der Möglichkeit einer Ohrfeige oder einer Sachbeschädigung bestehen darf, sondern eher in Richtung einer schweren Körperverletzung oder des Todes gehen muss.

Diese Rechtsprechung ist aber nicht 1:1 auf das EpidemieG übertragbar. Denn ein einzelner psychisch Kranker kann wohl nur wenigen Personen gefährlich werden. Ein durch den Coronavirus Infizierter kann hingegen am Ende die Ansteckung, Erkrankung und sogar den Tod von hunderten Personen verursachen. Es besteht ein Unterschied zwischen jenen, die sicher am Corona-Virus erkrankt sind und denen mit dem bloßen Krankheitsverdacht. Dies ändert nämlich den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritt, beeinflusst also die Frage, ob diese Person eine ernstliche Gefahr darstellt. Andererseits spricht § 14 TuberkuloseG davon, dass die “Gefährdung anderer Personen verlässlich auszuschließen” sein muss. Eine widersprüchliche Anordnung.

Was, wenn die Polizei mich aufhält oder mich nicht aus meiner Wohnung lässt?

Wie oben gesagt, das Gericht bestimmt nur, ob ein Freiheitsentzug wegen Corona überhaupt zulässig ist. Wenn im Einzelfall die Polizei eine Freiheitsbeschränkung mit Befehls- oder Zwangsgewalt vornimmt, kann man sich dagegen nur beim jeweiligen Landesverwaltungsgericht beschweren (sogenannte Maßnahmenbeschwerde).

Was ist mit Absperrungen ganzer Orte?

§ 24 EpidemieG erlaubt auch solche Maßnahmen.

Update: So geschehen in St. Anton, Paznauntal und Heiligenblut.

Was ist mit zwangsweiser Einberufung zum Bundesheer oder Zivildienst?

Das Wehrgesetz erlaubt die Dienstverlängerung und natürlich auch die Wiedereinberufung in Krisenzeiten.

Ich hatte hierzu bereits erste Anfragen. Ich kann daher klarstellen, dass die bloße Angst, sich beim Dienst zu infizieren, nicht genügt, den Dienstantritt oder die Dienstverlängerung zu verweigern. Es verhält sich hier wie auch sonst beim sogenannten “unentschuldigten Fernbleiben von der Truppe”.

Problematische Änderungen im gerichtlichen Strafverfahren

Die Strafprozessordnung wurde kurzfristig wie folgt (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00014/fname_787813.pdf) geändert:

  • Die erste gerichtliche Prüfung der Voraussetzung einer Untersuchungshaft kann bei Epidemien nunmehr auch über Videokonferenz erfolgen (Änderung von § 174 StPO), bislang war das nur bei wiederholten Haftverhandlungen möglich.
  • Die Hauptverhandlung gegen in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte kann in Abwesenheit des Angeklagten (bloße Videokonferenzzuschaltung und -einvernahme) erfolgen. Ob diese Regel sachgerecht ist, wage ich zu bezweifeln. Denn damit kann der Angeklagte zB nicht der Einvernahme eines ebenfalls per Videokonferenz einvernommenen Zeugen beiwohnen, wenn technisch nur 1:1-Schaltungen erfolgen, aber keine echten Konferenzen. Vernimmt man als Gericht nur Zeugen persönlich, nicht aber den Angeklagten, wäre es offenkundig, dass die Rechtsbeschränkung des Angeklagten unnötig war. Da das neue Gesetz diese Fälle nicht unterscheidet, widerspricht es meines Erachtens den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und dem Unmittelbarkeitsgrundsatz.

Resümee

Man sieht, auch der Umgang mit einer Epidemie (bzw. Pandemie) ist gesetzlich geregelt. Doch der verfassungsgesetzlich vorgegebene Schutz der persönlichen Freiheit durch Gerichte hat in Extremsituationen das Problem, das der Rechtsstaat immer hat: Er steht im Extremsituationen nur am Papier – die Verantwortung liegt bei der Regierung und Exekutive. Der Rechtsstaat in der Realität kann nicht innerhalb von Tagen für zehntausende Menschen zehntausende Gerichtsverfahren zur Prüfung der Angemessenheit freiheitsbeschränkender Maßnahmen durchführen, sondern bestenfalls für einen Bruchteil  – auch wenn wir Rechtsanwälte unseren Betrieb offenhalten dürfen.

Dr. Lorenz Kirschner, Rechtsanwalt für Strafrecht

Rechtsanwalt Dr. Lorenz Kirschner
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