Nach EU-Recht haben Beschuldigte und Angeklagte Recht auf eine “wirksame Teilnahme des Rechtsbeistandes” bei ihrer Einvernahme bzw. Verhör.
Wohl nicht ohne Grund plante also der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter im Jahr 2016, die Strafprozessordnung so zu reformieren, dass sich Beschuldigte sowohl im Ermittlungsverfahren vor der Polizei als auch im Hauptverfahren vor Gericht vor jeder einzelnen Frage mit ihrem Anwalt besprechen dürfen. Dieses Vorhaben traf auf Widerstand aus Polizei und Justiz und wurde nie umgesetzt.
Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) (Soytemiz vs. Türkei, Ibrahim vs. Großbritannien) ergibt sich jedoch, dass die aktuelle Regelung, wonach der Verteidiger nur vor Beginn der Vernehmung beraten und erst am Ende selbst Fragen stellen darf (§ 164 StPO), menschenrechtswidrig ist. Das Recht auf Rechtsbeistand meint ja nicht bloß die Anwesenheit eines Anwalts, sondern auch die aktive Beratung während der gesamten Vernehmung. Personen, denen dieses Recht verwehrt wurde, können daher den innerösterreichischen Instanzenzug ausschöpfen und danach die Rechtswidrigkeit des Verfahrens vor dem EGMR geltend machen.
Einen Verfahrensmangel wird man aber nur dann annehmen können, wenn das Gericht die laufende Rücksprache mit dem Verteidiger trotz eines darauf gerichteten Antrags verbietet. Es gilt daher, sowohl den Antrag als auch die abweisliche Entscheidung des Gerichts(senats) in das Protokoll aufnehmen zu lassen. Denn es gilt wie immer: Quod non est in actis, non est in mundo (“Was nicht im Akt ist, ist nicht in der Welt.”).
Strafverteidiger